07.06.2013

Eine Liebeserklärung

07.06.2013

Eine Liebeserklärung

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Am Anfang steht ein Plan, so simpel wie verlockend: Eine Wandertour vom schwedischen Saltoluokta ins norwegische Sulitjelma. Einmal quer durch die wilde Hochgebirgsregion des Sarek und über die weitläufigen Ebenen Padjelantas. Verschrien als letzte Wildnis Europas und Inbegriff von Abgeschiedenheit. Kurzum – Lappland par excellence!

Doch alles begann bereits vor über 20 Jahren, im August 1991. Ich war gerade mal 17 Jahre alt und lief den Kungsleden, Schwedens berühmten „Königspfad“, von Abisko nach Kvikkjokk. Die nordische Einsamkeit brannte sich tief in mir ein. Manchmal fiel es mir schwer, das Alleinsein zu ertragen. Aber ich war gleichsam fasziniert von der Landschaft und der Freiheit, über Berge und Täler zu schreiten. Es war der Beginn einer Leidenschaft, die bis heute ungebrochen ist.

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Gegen Ende der Wanderung kam ich am Ostrand des Sarek-Nationalpark vorbei. Schon damals ein Traumland, berüchtigt als weglose Herausforderung und nichts für ein Greenhorn wie mich. Noch nicht. Zwei Jahre später wagte ich mich erstmals ein Stück hinein in diese urwüchsige Welt. Angestachelt vom Nordlandfieber, mit einem Rucksack voller Respekt und jugendlichem Entdeckergeist. Ich schaffte es von Kvikkjokk durch den südlichen Teil des Parks bis zur Alkavare kapell, dann machte mir das Wetter einen Strich durch die weitere Rechnung. Immerhin: Die anfangs oft bedrückende Einsamkeit machte mir mittlerweile nichts mehr aus – so langsam gehörte ich zu jenen Menschen, denen zwei Wanderer in einem Tal bereits einer zu viel sind …

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Letzten Herbst kehre ich zurück. Noch immer habe ich diese „Idealtour“ im Kopf: von Ost nach West durch Sarek und Padjelanta, von Schweden hinüber nach Norwegen. Also finde ich mich erneut an der von krüppeligen Bäumen umstandenen Saltoluokta-Fjällstation wieder und wuchte mir den 30-Kilo-Rucksack auf den Rücken.

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Der Gipfel des 1179 m hohen Skierffe ist mein erstes Ziel. Von seiner Rückseite ist der felsige Sporn einfach zu besteigen, ein Pfad führt hinauf und nur das letzte Stück ist steinig. Plötzlich bin ich oben, vor mir geht es 700 Meter senkrecht hinab. Der Blick auf das Delta des Ráhpaädno verschlägt mir den Atem. Tief unten schlängeln sich die verästelten Arme des mächtigen Flusses durch einen grünblauen Teppich aus Seen und Wäldern. Eingekeilt zwischen den Felsabbrüchen des Skierffe und Tjahkelij münden die pulsierenden Adern des mit Gletschersedimenten durchsetzten Wassers in den Laitaure. Vielen gilt dieser Ort als schönster Aussichtspunkt im Sarek. Ich kann mich kaum sattsehen.

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Während der Tour geben sich Regen und Sonne die Klinke in die Hand. Als ich Skárjá erreiche, klebt mir die Hose an den Beinen. Fix baue ich mein Zelt am Smájllájåhkå auf. Raus aus den nassen Klamotten und rein in die eigene, kleine Welt. Inmitten der imposanten Berge ist außerhalb der eigenen vier Wände keine Gemütlichkeit zu finden. Neuschnee überzieht in der Nacht die Gipfel.

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In der weiten Hügellandschaft Padjelantas steige ich schließlich aus den weißen Höhen hinab in die grüne Oase Staloluokta. Hinter mir lasse ich die gepuderten Zacken des Sarek zurück, vor mir breitet sich der große Virihaure aus. An seinem Ufer errichte ich mein Zelt, schaue, träume und lasse die Gedanken schweifen. Vielleicht der schönste Fleck bisher. Weite und Stille. Langsam geht die Sonne unter. Ich lebe in diesem Moment.

Als ich die Ny-Sulitjelma-Hütte erreiche, ist die Wanderung fast geschafft. Ein letzter Zeltplatz, bereits mit Blick auf die Bergarbeitersiedlung Sulitjelma. Am Abend leuchten im Tal die Straßenlaternen. Früh wandere ich das letzte Stück hinunter zurück in die Zivilisation. Als ich um 8:30 Uhr in dem kleinen Ort eintreffe und vor dem Dorfladen stehe, herrscht mal wieder Mistwetter. Was soll’s? Der Drops ist gelutscht!

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Mit dieser Traumtour bin ich zurückgekehrt zu meinen Wurzeln, dorthin, wo alles seinen Anfang nahm. Ich begann, alles nochmal ganz neu zu träumen. Es war der Start des Projekts „Mein Norden“, das mich seitdem über zwei Jahre immer wieder in den Norden führen soll. 11 Reisen an Orte, die mir von früheren Abenteuern etwas bedeuten, aber auch Aufbruch zu neuen Ufern, Ländern, die mir bisher fremd waren und die ich entdecken möchte. Eine Liebeserklärung an Landschaften, Regionen und eine intensive Art des Unterwegsseins.

About the author:
Martin Hülle (*1973) zieht es seit mehr als zwei Jahrzehnten vor allem in die rauen und abgeschiedenen Landschaften Skandinaviens, Islands und Grönlands. Die Fotografie und das Schreiben sind für ihn eine Lebensart – eine Möglichkeit, Gefühle einzufangen, auszudrücken und mit anderen zu teilen. Kamera und Notizblock sind dabei ständige Begleiter auf der Suche nach spannenden Geschichten.

Website: www.martin-huelle.de
Blog: www.martin-huelle.de/blog/
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