12.06.2013

Wüstenwandern

12.06.2013

Wüstenwandern

Mauretanien 2007

Stille, Sand und flirrende Hitze. Einmal das tun, wovon andere nur träumen: mit dem Rucksack und in einer kleinen Gruppe in die Wüste gehen. Zu Fuß hinein in das Dünenmeer Erg Ouarane inmitten von Mauretanien. Eine Begegnung mit Resten uralter maurischer Kultur und dem zauberhaften Farbenspiel der Sahara.

Auf dem sandigen Boden sitzt er zwischen unseren Füßen: ein Skorpion! Aufgeschreckt verschwindet das Raubtier flink unter dem steinigen Gemäuer eines Hauses. Wir sind in Chinguetti, einem alten maurischen Ort am Rande des Dünenmeers Erg Ouarane. Vor uns liegen einsame Tage im größten Sandkasten der Welt. Wird sich bewahrheiten, was mir alle daheim prophezeit haben, denen ich von diesem Wüstentrip vorher erzählt habe? Dort wimmele es vor Schlangen, Skorpionen und Entführern!

Martin_Huelle_12th_June_02

Schon der Flug nach Atar vermittelte einen ersten Eindruck der gewaltigen Einöde der Sahara. Nichts als beige-farbener Sand, Steine und braune Felsbänder waren von oben herab erkennbar. Nur drei Menschen teilen sich einen Quadratkilometer. Nach der Landung raubt mir die warme Luft den Atem. Mit zwei klapprigen Geländewagen verlassen wir Atar, die Flughafenstadt, deren Straßengräben von Müll, Autowracks und Ziegen gesäumt werden. Eine holprige Schotterpiste führt nach Chinguetti, einem Handelsposten am Rand der Dünenfelder, durch die unsere Wanderung führen soll. Der Ort ist sehr alt und war einst eine Hochburg der maurischen Kultur. Daran erinnern noch heute zahlreiche Bibliotheken, deren dunkle Gemäuer jahrhunderte alte Bücher verwahren. In den schmalen Gassen der Altstadt umlagern uns Frauen und Kinder, sie wollen uns einen „Chech“ verkaufen, die klassische Kopfbedeckung der saharischen Nomadenvölker – Schutz gegen Sonne, Sand und Wind. Auch wir erweitern damit unsere Ausrüstung, doch es braucht Übung, um das drei Meter lange Tuch um den Kopf zu binden.

Martin_Huelle_12th_June_03

Früh am Morgen durchbricht die Stimme des Muezzin die Nachtruhe. Dem Aufbruch in die Dünenfelder steht nun nichts mehr im Wege. An diesem Tag laufen wir nur ein Stück bis hinter die Oase Kemtkemt, wo wir Holz sammeln, um ein Feuer zum Kochen zu entzünden. In maurischer Tradition bereitet unser Reiseführer Jerome Minzetee zu, doch aufkommender Regen verscheucht uns abrupt in die Zelte. Damit hatten wir nicht gerechnet, obwohl es auch in der Sahara immer mal wieder zu Regengüssen kommt. Nun hält das schlechte Wetter aber schon mehrere Tage an und führt zu kühlen Nachttemperaturen von nur 6 Grad. Blitze zucken am Firmament und Donner grollt – in der weiten Landschaft faszinierend und beängstigend zugleich.

Martin_Huelle_12th_June_04

Noch einen weiteren Tag bleibt das Wetter trübe. Immer wieder fallen dicke Tropfen vom Himmel. An steinernen Ruinen vorbei tauchen wir ein ins Dünenmeer Erg Ouarane, eigentlich froh, dass sich die Hitze noch zurückhält. Der vom Regen feuchte und klebrige Sand lässt das Orange-Rot der Dünen umso satter erscheinen. Unser Weg ins Tal von Hassi-Camp führt vorbei an mehreren Kamelskeletten, bevor wir dort auf den ersten Brunnen stoßen. Aus der Tiefe ziehen wir neues Wasser empor: Überlebenswichtig!

Mauretanien 2007

Am folgenden Morgen verscheucht die Sonne alle Wolken. Blauer Himmel wölbt sich von nun an über den sandigen Grund, der sich in alle Richtungen bis zum Horizont erstreckt. Wärme und Wind trocknen rasch den Boden und der feine Sand sucht sich seinen Weg in jede Ritze. Bis zum Brunnen Mghalig ziehen wir weiter. Er liegt in einem Wadi, einem Trockental zwischen den Dünenfeldern. Mittlerweile ist es so warm, dass wir im Schatten der wenigen Bäume Schutz vor der Sonne suchen. Erst gegen Abend wird es erträglicher, wenn der tief stehende Feuerball die Formen, Farben und Strukturen der Dünen wundervoll heraus modelliert.

Martin_Huelle_12th_June_06

Zuweilen sind Sand und Dünen weiß wie Schnee. Dann wieder gelb und orange, manchmal rot. Wir laufen mit der Hauptwindrichtung und steigen die vom Wind festgepressten Seiten der Dünen hinauf, auf den anderen Seiten geht es im Sauseschritt wieder hinab. Die Füße verschwinden dabei bis zu den Knöcheln im Sand. Stunde um Stunde ziehen wir weiter, berauscht von der Stille und der Weite, bis sich in einem weiteren Wadi unter uns die Oase Lagueila ausbreitet. Was für ein Anblick: Palmen und saftiges Grün. Wir steigen hinab und liegen den Rest des Tages auf Teppichen und Kissen unter einem Zeltdach im Schatten in der Oase, in der selbst Cola-Dosen neben allerlei Souvenir zu haben sind.

Mittlerweile wird es tagsüber so warm, dass in den Mittagsstunden nicht daran zu denken ist, durch die Dünen zu laufen. 40 Grad in der Sonne, mehr als 30 Grad im Schatten der Bäume. Früh stehen wir auf, laufen mehrere Stunden, ruhen dann längere Zeit unter großen dornigen Ästen, bevor wir gegen Abend noch ein Stück weitergehen. Die frühen und späten Stunden, wenn uns das Licht den Atem raubt, sind ohnehin die schönsten. Auf unserem Weg stolpern wir über Tonscherben und tausende von Jahren alte Pfeilspitzen. Und zum Glück auch über den Brunnen der Nomadenfamilie Beyed. Das Wasser riecht und schmeckt jedoch nach Ziege. Aber was soll’s? Eine Alternative gibt es nicht!

Martin_Huelle_12th_June_07

Auf dem Weg zurück nach Chinguetti entdecken wir einige Schlangenspuren. Doch die Schuppenkriechtiere bleiben genauso im Verborgenen wie die furchterregenden Skorpione und Entführer. Es ist wohl auch eher Glücksmoment als wirkliche Gefahr, einmal diese seltenen Tiere in der freien Natur zu Gesicht zu bekommen.

Unsere Gedanken werden noch lange an der Wüste haften. Und an dem alten Sprichwort der Nomaden: „Der Weg zum Reichtum läuft durch die Basare. Der Weg zur Weisheit führt durch die Wüste.“

About the author:

Martin Hülle (*1973) zieht es seit mehr als zwei Jahrzehnten vor allem in raue und abgeschiedene Landschaften. Die Fotografie und das Schreiben sind für ihn eine Lebensart – eine Möglichkeit, Gefühle einzufangen, auszudrücken und mit anderen zu teilen. Kamera und Notizblock sind dabei ständige Begleiter auf der Suche nach spannenden Geschichten. Bild- und Textreportagen seiner Reisen erscheinen regelmäßig in namhaften Magazinen.

Website: www.martin-huelle.de
Blog: www.martin-huelle.de/blog/
Twitter: twitter.com/MartinHuelle
Facebook: www.facebook.com/MartinHuelleFotografie

Top
Our Brands