28.01.2014

DAS GEHEIMREZEPT: DIE EMOTION HINTER DEN BILDERN

28.01.2014

DAS GEHEIMREZEPT: DIE EMOTION HINTER DEN BILDERN

Mich amüsiert es immer, wenn Museumsführer erklären, was ein Maler mit seinem Werk sagen wollte, was er damit ausdrücken wollte. Die meisten denken sich eine gute Geschichte aus und fügen diese in einen sinnvollen Kontext ein, um mir zu helfen, das Bild zu „verstehen“. Obwohl ich dankbar für die Erklärung sein, kann meine Reaktion völlig von der angebotenen Interpretation abweichen und fällt meist ganz anders aus als die Gefühle und Emotionen, die der Künstler selbst beim Malen des Bildes hatte. Die Gemälde, die mir am besten gefallen, erzeugen eine elementare Reaktion, eine Emotion, die etwas tief in mir bewegen kann und nicht wirklich einer Erklärung bedarf. Nur wenige Gemälde erzeugen diese emotionale Reaktion, aber bei denen, die dies tun, möchte ich wirklich alles wissen, das es über sie zu wissen gibt. Nun stellen Sie sich vor, wie Sie selbst durch das Gewirr der lebendigen Fotogalerie Instagram gehen und sich fragen: Zu welchen Bildern können Sie wirklich eine Verbindung aufbauen?

Für mich als Betrachter ist die wirkungsvollste Zutat, die ein Bild enthalten kann, das Gefühl, das es hervorruft. Instagram ist vor allem ein nie endender Strom von Bildern, die in diversen Augenblicken des Lebens entstanden sind, und in denen das Erstaunen, die Freude, der Ärger, die Verwunderung, die Traurigkeit oder schlicht die Langeweile des Fotografen zum Ausdruck kommen. Ungeplant, ungefiltert und direkt, die Aufnahmen, die die meisten Menschen veröffentlichen, sind Fenster in ihr tägliches Leben. Als Fotografen teilen wir Fotos und mit ihnen auch unsere Emotionen, obwohl das, was eine Person empfindet, während sie ein Foto macht, etwas ganz anderes sein kann, als das, was der Betrachter wahrnimmt – abhängig von der Stimmung und der persönlichen Sichtweise des Einzelnen. Es ist ein loses Dreiecksverhältnis zwischen dem Fotografen, dem Motiv, dem Bild und dem Betrachter (ok, das sind vier, also ist es ein Vierecksverhältnis). Alle können unabhängig voneinander leben, ohne dass jemand interpretieren müsste, um zu definieren, was zwischen ihnen vorgeht. Diese Beziehungen können sich auf sehr wirkungsvoll Art gegenseitig ansprechen – über die universellen Emotionen, die wir alle teilen.

Es gibt zahllose Motive, die perfekt geeignet sind, um Emotionen auf verschiedene Weise auszudrücken. Im Allgemeinen sind Gesichter und Personen klassische Motive, die sofort Emotionen übermitteln. Erinnern Sie sich an die grünen Augen des afghanischen Mädchens auf dem berühmten Titelbild der National Geographic? Ganz ohne dass der Fotograf etwas erklären musste, empfanden die Betrachter allein bei dieser Aufnahme überwältigende Emotionen. Ich weiß nicht, was der Fotograf empfand, als er das Foto machte oder was das Mädchen dachte, noch ist dies wirklich relevant dafür, welches Gefühl das Bild in mir hervorgerufen hat, für die Magie dieser durchdringenden Augen oder ihre Geschichte und ihre Vergangenheit. Denken Sie daran, wir sind alle verschieden, doch wir teilen elementare menschliche Emotionen, die sich in nahezu allem finden. Ein abblätternder Türrahmen, ein Kuss, Ihr Haustier, die Art, wie das Licht sich auf einer nassen Straße bricht, Sie wissen schon.

Die Bilder, die mir meist am besten gefallen, sind sie, bei denen ich meine eigenen Emotionen stark isolieren kann. Ich bin von Natur aus schüchtern und vermeide zu viel direkte Interaktion mit einem Motiv, besonders bei einer direkten Nahaufnahme eines Fremden auf der Straße beispielsweise. Ich fühle mich einfach nicht wohl dabei und darum wende ich mich immer meinen Kindern und ihren übersprudelnden Gefühlen zu, die einfach einzufangen sind und auf elementare Art übertragen werden können. Dann wiederum empfinde ich ein Gefühl der Ruhe, wenn ich versuche, ein minimalistisches Bild in seinem Gleichgewicht, seiner Ästhetik und seiner Struktur zu erschaffen. Ab und zu sind meine Aufnahmen nur ein Ausdruck des schieren Erstaunens (oder der Belustigung) angesichts der Welt um mich herum, ohne bewusste Gedanken über das Foto selbst.

Um sich auf diesen Weg zu machen, sollten Sie mit Ihren Aufnahmen experimentieren, spielen Sie mit Ihren Aufnahmen und identifizieren Sie Ihre eigenen Emotionen. Machen Sie hunderte Fotos, ja tausende und wählen Sie dann jene aus, die Sie auf direkteste Art ansprechen. Wenn Sie einige finden können, für die Sie keine Hintergrundgeschichte brauchen, dann wird es den meisten anderen ebenso ergehen. Geben Sie ehrliches Feedback, dann werden Sie dieses auch von anderen erhalten.

Also, was ist Ihre Geheimzutat? Was bewegt SIE in Ihren Bildern? Es gibt kein Geheimrezept, außer, dass Sie Ihren eigenen Instinkten folgen sollten. Die Technologie ermöglicht es uns, sofortiges Feedback von Betrachtern zu erhalten, die so ausdrücken können, welche Emotionen sie selbst zu einem Bild verspürt haben. Nutzen Sie sie. Ich bin immer überrascht und fühle mich zutiefst geehrt von den Menschen, die mir sagen, dass ein Bild von mir sie emotional ganz tief berührt hat, ohne dass ich irgendetwas erklären müsste. Ich bin mir sicher, dass auch Sie es genießen werden, mit anderen eine Verbindung aufzubauen – ohne dass Sie dabei einen Museumsführer brauchen.

Hans Kritzler

„Weniger ist mehr“ dominiert Hans Kritzlers minimalistische Fotos (@macroe in Instagram). Geboren und aufgewachsen ist der Geschäftsführer bei Tag und Fotofanatiker bei Nacht in Mexiko-Stadt; heute lebt er in München, Deutschland, und mehr als 450.000 Personen folgen ihm. Er fotografiert und bearbeitet zu 100 % auf seinem iPhone.

Instagram: www.instagram.com/macroe
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Webseite: www.movildfoto.com
Blog: www.macroe.me

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